Carlos
Fuentes: Landschaft im klaren Licht.
Ein
Frühwerk aus dem Jahre 1960 des mexikanischen Großmeisters, dass ein
Gesellschaftspanorama entfaltet, das sich über mehrere Jahrzehnte hinzieht. Im
Mittelpunkt stehen zahlreiche Personen, deren Verhalten unter den rasch
wechselnden äußeren Umständen – Revolution, Bürgerkrieg, rechter Diktatur,
linker Diktatur – beleuchtet wird. Ausgehend von einer Feierlichkeit der
Oberschicht von Mexiko City, präsentiert Carlos Fuentes (1928-2012) die
Anpassungsfähigkeit der Opportunisten, die in jedem Regime gut zurechtkommen,
beziehungsweise bereit sind, ihre vermeintlichen Ideale nur allzu leicht über
Bord zu werfen. Biographien werden uminterpretiert, kaschiert, wer zu Einfluss
und Geld gekommen ist, hat damit in jeglicher Hinsicht wenig Probleme. Glück
bringt dies gleichwohl nicht jedem, auch das opportunistische Lavieren kann mit
Verzögerung noch in die Katastrophe führen. Fuentes‘ komplexes Sittengemälde,
das sowohl literarisch, aber vor allem auch durch die Vielzahl der Personen
einige Anforderungen an die Leser*innen stellt, insbesondere diejenigen, die
nicht tiefer in die mexikanische Historie eingeweiht wurden, hat heute schon
etwas Staub angesetzt. Zwar ist die grundlegende These von der allgemeinen
Korrumpierbarkeit sicher nicht obsolet, aber inzwischen zu oft beschrieben
worden – was man Fuentes natürlich nicht vorwerfen kann. Für enthusiastische
Liebhaber*innen mexikanischer Geschichte und Literatur.
Oskar
Maria Graf: Die gezählten Jahre.
Noch
aus der direkten Anschauung, im Exil in Österreich sitzend, schrieb Oskar Maria
Graf (1894 bis 1967) seinen Roman über den Aufstieg des Nationalsozialismus in
Deutschland und dann auch in der Nachbarrepublik. Sein Hauptaugenmerk liegt
hierbei auf der Sicht der Sozialdemokratie, deren Dilemmata er in eine
Familiengeschichte einwebt. Der alte Hochegger ist ein Sozialdemokrat der
Bebel-und-Liebknecht-Zeit, der die Verfolgungen unter dem Wilhelminismus noch
mitgemacht und schließlich die Revolution erlebt hat, die die Partei an die
Macht bringt. Von jeher an der konkreten Fürsorge interessiert, ist ihm
jeglicher Radikalismus fern, dem jeweiligen Kurs der Führung passt er sich stets zustimmend an, so wird er Stadtrat für Wohnungsbau und richtet sich in
der Republik ein. Als diese zunehmend in Bedrängnis gerät, wirkt er wie die
Gesamtpartei hilflos. Während die abgespaltenen Kommunisten die SPD aufgrund
der Stalinschen Sozialfaschismusthese zusätzlich bekriegen und jegliches
Bündnis verweigern, kennen die Methoden der Nazis ohnehin keine Grenze, Gewalt
und Niedertracht beherrschen bald das politische Geschehen. Hochegger kommt
hiermit nicht zurecht, er ist ängstlich und ohne eigenes Zutrauen, die Partei
beharrt auf ihrem explizit demokratischen und legalistischen Kurs, so dass ihr
die Jüngeren, die auf aktive Gegenwehr setzen, entweder immer mehr abhandenkommen, wie
Hocheggers Sohn Joseph, oder zu den Nazis überlaufen, wie sein anderer Sohn und
seine Tochter. Letztlich reagieren die Partei und die Gewerkschaften wie
gelähmt, die Skrupellosigkeit ihres Gegners völlig unterschätzend. Erst die
alten Hocheggers, schließlich auch Joseph und seine Frau Klara müssen das Land
nach der Machtübernahme verlassen. Sie engagieren sich nun in Österreich, um
dort den gleichen Ablauf, der sich bereits abzeichnet, zu verhindern – wozu sie
immer mehr das Bündnis mit den Kommunisten suchen. Doch auch in der
Alpenrepublik scheinen sie auf verlorenem Posten zu stehen. Grafs Analyse des
Versagens der Linksparteien in der Weimarer und der österreichischen ersten
Republik ist zwar nicht frei von der – noch so frischen – Enttäuschung,
die zu mancher Vereinfachung führt, ist aber trotzdem differenziert und aktuell
wie eh und je. Ist der streng sich auf das Beharren am Rechtsstaat berufende
Kurs der träge gewordenen Funktionärspartei SPD, der den Bürgerkrieg nicht
riskieren möchte, zu verurteilen, weil er sich nicht auf das Niveau seiner
Gegner – von links und rechts – herablässt? Was wäre die Alternative? Hier
ängstliche und bequeme Parteiobere, dort gewaltbereite Kommunisten, die aber
nicht bereit sind, ihren alleinigen Führungsanspruch aufzugeben. Die
Uneinigkeit spielt den Nazis in die Hände, aber sie ist bestenfalls ein
Teilaspekt des Ganzen, nicht das Versagen der Linken, das Hofieren durch die
Konservativen und ihr Irrglaube, ihn beherrschen zu können bringt die Hitler
an die Macht. Wie umgehen als Demokrat mit jemandem, der die demokratischen
Regeln nicht nur nicht achtet, sondern sie nutzt, um sie zu zerstören? Darauf
hat auch Graf keine Antwort, aber er versetzt uns als Leser*innen mit hinein in
diese Zwickmühle – und zeigt uns deren Folgen, wenn wir aus ihr nicht
herauskommen.
Wiglaf
Droste: Sprichst Du noch oder kommunizierst Du schon?
Es
gibt zwei Arten von Sprachkritik, genaugenommen drei, und jene dritte, die
philosophische, ist zwar die interessanteste, aber wir lassen sie aus
Platzgründen mal beiseite, außerdem ist sie keineswegs so populär wie die
beiden anderen, die eine Art Freizeitbeschäftigung von Feuilletonleser*innen zu
sein scheinen. Hier könnte man wohl sogar das böse, böse Gendern weglassen,
denn seltsamerweise – oder auch nicht – ist dieses Hobby eindeutig ein
überwiegend männliches. Allerdings nur in der ersten Form, die sehr oft von
oben herab über die richtige Verwendung von Sprache doziert, immer mit
reichlich Dünkel implizierend, dass der vermeintlich falsche Gebrauch von auch
nur winzigsten Sprachnuancen auf extreme charakterliche Mängel hindeutet, die
eigene Überzeugtheit von der Richtigkeit der eigenen Grammatik aber den höheren
Menschen erkennen lässt. Zu finden in den großen Tages- und Wochenzeitungen und
in Bestsellerlisten. Der zweiten Form widmet sich Wiglaf Droste (1961-2019),
der Entlarvung von Manipulation durch und mit Sprache. Hier geht es nicht um
angeblich schlechtes Deutsch, sondern um Worthülsen, inhaltsleere Wendungen
oder verschleiernde Sprache. Zu finden in der Werbung, Politik, aber auch,
meist durch Gedankenlosigkeit, in der täglichen ‚Kommunikation‘. Der Titel des
Buches ist schließlich doppeldeutig: Einerseits bezieht er sich auf das
überhaupt nicht mehr miteinander Sprechen – in der gleichnamigen Glosse geht es
um einen Smartphoneabhängigen, der mit allen, nur nicht mit seinem Gegenüber
‚kommuniziert' –, aber er spricht natürlich auch an, dass nicht mehr an Inhalt
interessierte Sprache gesprochen, sondern substanzlose Phrasen
aneinandergereiht werden. Und damit – und nicht mit der Oberlehrervariante –
wäre man dann doch wieder der philosophischen Sprachkritik nahegekommen, nur
eben à la Droste, sprich auf sehr lustige Art und Weise.
Michael
Nagula (Hg.): Fenster ins Licht.
Science-Fiction-Erzählungen
aus der DDR. Schon dieser Untertitel weist auf gewisse Dilemmata hin, denn
genaugenommen hat sich der Begriff Science-Fiction in der DDR, man kann sich
denken, warum, erst sehr spät durchgesetzt, vorher war von Zukunfts- oder
utopischer Literatur die Rede. Auch dass nicht sonderlich glücklich, hatte doch
Marx höchstpersönlich den utopischen Sozialismus seiner Vorgänger durch den aus
seiner Sicht streng wissenschaftlichen ersetzt. Welcher Themen nimmt sich die
DDR-SciFi an, so einfach ist das, wie man schon bemerkt, nämlich nicht.
Naheliegende Sujets wie eine gelungene sozialistische Gesellschaft der Zukunft
oder auf einem fremden Planeten könnten zu sehr mit den momentanen Zuständen
kontrastieren und deren Mängel herausstellen – was ja der ursprüngliche Zweck
der ersten Utopien war. Die Verwerfungen und Absurditäten der kapitalistischen
Gesellschaft, ihren Irrweg darzustellen – das machten die
Sci-Fi-Schriftsteller*innen im Westen längst selbst, man vergleiche den vor kurzem besprochenen Band mit satirischen Sci-Fi-Geschichten. In unserem speziellen
Fall kommt noch dazu, dass ein westdeutscher Herausgeber die Geschichten für
einen in der Bundesrepublik erscheinen Band ausgewählt hat; es
könnte also der Verdacht entstehen, dass er mehr sein eigenes Publikum und
dessen Erwartungen im Blick hatte – etwa nach verschlüsselter Systemkritik –
als wirklich repräsentativ zu sein. Dies zu überprüfen fiele schwer, zu
konstatieren ist, dass die Auswahl gelungen ist und keineswegs irgendwelche
einseitigen Kriterien bevorzugt. Das Buch überrascht durch die gute Qualität
der Geschichten und die Themen sind nicht sonderlich andere als die im Westen.
Bestenfalls fällt auf, dass (auch) hier oft von misslungenen Eingriffen in
fremde Gesellschaften und gescheiterten wissenschaftlichen Experimenten
berichtet wird – also ein negativer, eher anti-utopischer Tenor vorherrscht. Der
Weltraum schuf auch hier offensichtlich Freiräume. Wie immer bei Anthologien
ist nicht alles von gleicher Überzeugungskraft, aber insgesamt ein gut
ausgesuchter Überblick.
Vladimir
Nabokov: Lushins Verteidigung.
Lushin
ist ein sehr seltsames Kind. In guten Verhältnissen aufgewachsen, wirkt vieles
auf ihn von Beginn an verstörend. Mit seiner Umgebung kommt er nicht zurecht,
mit seinen Eltern weiß er wenig anzufangen, vor der Schule und seinen
Mitschülern graut es ihn. Durch banalen Zufall lernt er, sehr schlecht
beigebracht von seiner Tante, das Schachspiel kennen, das er sich fortan nicht
nur einfach selbst lehrt, sondern zur Meisterschaft weiterentwickelt. Endlich
scheint er seine Bestimmung gefunden zu haben: als Schachwunderkind steigt er
zu Ehren auf. Er lebt nur in dieser winzigen Welt, außerhalb der Schachturniere
existiert für ihn nichts, die Eltern sterben, sein zwielichtiger ‚Impresario‘
wendet sich irgendwann von ihm ab, Lushin reist von Wettkampf zu Wettkampf, bis
sich in einem Kurort eine Frau, eine Exilrussin wie er nun, für ihn zu
interessieren beginnt. Die seltsame Beziehung, die beide eingehen und bis
zur Heirat – gegen den eher nicht verwunderlichen Widerstand der Eltern der
Frau – vorantreiben, ist schwer zu erklären, auch für die beiden selbst. Lushins
ihn nicht gerade schätzende Schwiegermutter mag durchaus recht haben, dass ihre
Tochter diesen nicht liebt, sondern sich aus Mitleid um ihn kümmert. Dies wird
erst recht nötig, als er bei einem Schachturnier mitten in einer entscheidenden
Partie zusammenbricht. Der Arzt empfiehlt, fortan die Aufregungen des Spiels zu
vermeiden, um einen gefährlichen Rückfall zu verhindern. Dies gelingt nur an
der Oberfläche. Lushin beginnt, das Leben selbst als eine vertrackte
Schachstellung zu begreifen, innerlich entwickelt er die titelgebende
Verteidigung, um aus den Konstellationen des täglichen Schachspiels entkommen
zu können. Doch dafür gibt es nur eine Lösung. Nabokovs (1899-1977) Schilderung
eines Mannes, den man heute wohl einen Nerd mit autistischen Zügen nennen
würde, nutzt wie immer gekonnt die literarischen Mittel der Moderne, vermengt
mit satirischen Ansätzen. Darauf muss man sich einlassen, insgesamt eher etwas
für Liebhaber*innen dieses Autoren, Schachspielen muss man allerdings nicht
unbedingt beherrschen, um das Buch zu verstehen.
Robert
Merle: Hinter Glas.
Er
war selbst vor Ort, Robert Merle (1908 bis 2004), als in den Jahren 1967 und
vor allem 1968 an der neu angelegten und teils noch im Bau befindlichen
Universität Nanterre, einem Pariser Arbeitervorort, die studentischen Unruhen
ausbrechen, die zur Legende, aber auch zum historischen Ereignis wurden. Merle,
in jenen Tagen Professor der Anglistik, hatte sich schon vorher mit den
Studierenden seiner Universität beschäftigt, ihn interessierte, wie sie mit den
neuen Gegebenheiten hier zurechtkamen, diesem Nebenprojekt zur Sorbonne – von
der die meisten, wie auch die Professoren, ursprünglich stammten. Hierher
ausgelagert, in eine Bauwüste mitten in einen Ort abseits der Großstadt in
einer Umgebung, die nichts Akademisches und noch weniger zu bieten hatte. Dass
er damit plötzlich inmitten eines weltweit für Aufregung sorgenden Geschehens
stehen würde, konnte er noch nicht ahnen. So hat er die Ereignisse in einen
Roman verarbeitet, der durch die Ausleuchtung zahlreicher Perspektiven von
Studierenden über Professor*innen bis zu Spitzeln möglichst diverse Standpunkte
einnimmt, aber auch das banale Alltagsleben beider Seiten der Hierarchie
mitberücksichtigt. So schildert er den Ablauf des 22. März 1968, als die
Studierenden am Abend das Verwaltungsgebäude der Universität besetzten. Anfangs
etwas holzschnittartig, was auch nie gänzlich verschwindet, doch liest man sich
erstaunlich schnell in die unterschiedlichen Blickwinkel ein, sicher kein
literarisches Meisterwerk, aber das spannende Zeitdokument eines
Augenzeugen.
Martin
Walser: Brief an Lord Liszt.
Dieser
kurze Roman Walsers (geboren 1927) müsste eigentlich eine Renaissance erleben,
statt unter seinen – zugegeben nicht wenigen – Werken in Vergessenheit geraten
zu sein. Denn Walser analysiert hier als persönliches Schicksal den Aufstieg
der sich globalisierenden Industrie und den inneren und äußeren Verdrängungswettbewerb
in seinen Anfängen während der 1980er Jahre. Franz Horn, Abteilungsleiter in
der am Bodensee angesiedelten auf Dentaltechnik spezialisierten Firma
‚Chemnitzer Zähne‘, gerät bei einem an und für sich harmlosen Treffen beim
Wein in Streit mit seinem jüngeren Kollegen Liszt. Nachdem eine Woche später
der direkte und einzig verbliebene Konkurrent des Unternehmens Selbstmord
begeht, indem er seine Firma und sich selbst in Brand steckt, beschließt Horn,
sich mit einem Brief bei seinem Kollegen zu entschuldigen – er selbst hatte vor
Jahren einen Suizidversuch unternommen.
Es wird ein langer Abend und ein sehr langer Brief. Horn enthüllt darin den
Ein- und Aufstieg Liszts, der mit seinem gleichzeitigen Abstieg einhergeht.
Horn verliert gegen den unverfrorenen, jüngeren Liszt das ständige Buhlen um
die Gunst des Chefs. Doch der hat inzwischen wiederum einen jüngeren
Abteilungsleiter an Bord geholt, der nun Liszt ins Abseits drängt – und auch
Horn hat einst seinen Vorgänger auf üble weise durch ständige Demütigungen aus
der Firma eliminiert. In der Hackordnung herrscht keine Solidarität, wie sie
sich Horn nun erhofft, sind er und Liszt doch nun beide auf dem Abstellgleis
und werden noch dazu aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin bald vor die Tür gesetzt.
Denn ihr Chef hat längst die Fusion mit dem Bayerkonzern und eine Verlagerung
des Standorts eingeleitet, außerdem gilt sein Interesse inzwischen viel mehr
der von seinem hippen Sohn angeregten Produktion von Surfbrettern, er hat
diversifiziert und stößt das alte Geschäft ab. Mitsamt Liszt und Horn. Letzterer
hat dies bereits verstanden und seinen Ausstieg vorbereitet – Liszt dagegen ist
noch in die Schemata des Machtkampfes und der Rückeroberung der Gunst beim Chef
gefangen. Dass der nie an Freundschaften interessiert war und Mitarbeiter, die
keinen effektiven Nutzen mehr beitragen können, nach und nach zurückstuft, hat
Horn schmerzhaft gelernt, Liszt nicht. So muss auch eine Versöhnung ausbleiben.
Der Brief wird nicht abgeschickt.
Jewgenij
Samjatin: Attila, die Geißel Gottes.
Vorneweg:
Mit den Verfilmungen gleichen Titels hat der Roman Jewgenij Samjatins (1884 bis
1936) nichts zu tun. Nur der Protagonist ist beiden gemein, wobei Attila in
Samjatins Text auch nur ein Halbprotagonist ist, da er sich die Hauptrolle mit
dem byzantinischen Geschichtsschreiber Priskos teilen muss. Beide sind Gäste im
Rom des frühen 5. Jahrhunderts, das schon deutlich vom Verfall gekennzeichnet
ist. Attila als Junge, eine von seinem Vater gestellte Geißel der Hunnen zur
Erziehung am Kaiserhof, Priskos, schon etwas älter, auf Bildungsreise im
Sehnsuchtsort. Für beide ist die Erfahrung enttäuschend. Rom ist für jeden
offensichtlich am Ende. Abhängig vom Wohlwollen barbarischer Verbündeter, regiert von einem unfähigen, verweichlichten
Herrscherhaus, bewohnt von einer nach Vergnügen und Exzessen süchtigen Masse,
in der sich Ober- und Unterschichten mischen und Angst und Not übertüncht
werden mit Spektakel. Während Priskos zeitweise in Versuchung gerät, diesem dekadenten
Charme der Endzeit zu verfallen, bewahrt sich Attila seine Unberührtheit und
ursprüngliche Art. Er wird als unbelehrbar wieder nach Hause geschickt.
Samjatin ist – bewusst – nicht an einem historischen Abbild gelegen, die
Verwendung zahlloser moderner Worte unterstreicht die von ihm gewünschte
Zeitlosigkeit, mit der er seine Theorie einer Existenz des Gleichzeitigen
belegen möchte, einer Dialektik von Verfall und Neuentstehung. In vielem wirkt
dies auf heutige Leser*innen äußerst zwiespältig. Nur zu klar wird, dass hier
die ‚Erlösung‘ aus dem Osten kommt, der sich dem – mit allen Klischees
geschilderten – dekadenten Westen entzieht. Dies gilt schon für Priskos, noch
mehr aber für Attila. Dieser urwüchsige Kerl, der sich nicht verführen lässt,
der der Natur verbunden bleibt und der Gewalt und Lügen als Durchsetzungsmittel
erfolgreich erlernt, sich buchstäblich als Mann erweisen muss, soll das
Gegenbild darstellen, die Zukunft, die Samjatin allerdings nur andeutet.
Vielleicht sind dies nachvollziehbare Sehnsüchte eines Dissidenten im Exil,
1936 geschrieben, irgendwo zwischen den Welten, keiner Seite mehr zugehörig,
aber sympathischer werden sie dadurch nicht.