Eduardo
Mendoza: Die unerhörte Insel.
Der
Unternehmer Fabrégas fühlt sich angewidert von seinen Geschäften und verlässt
fluchtartig Spanien, alle Verbindungen kappend. Er landet in Venedig, doch wird
er dort von seinem Anwalt aufgefunden, der ihn drängt, zurückzukehren, um eine
Pleite seines Unternehmens zu verhindern. Fabrégas weigert sich, doch auch der
Aufenthalt in der Lagunenstadt befriedigt ihn nicht, er ist bereits
entschlossen, diese zu verlassen, als er einer Frau wiederbegegnet, die er beim
ersten kurzen Zusammentreffen an der Hand eines Bekannten für eine
Prostituierte hielt. Das ist sie offenkundig nicht, wie sich bald herausstellt,
doch was will sie von ihm – und er von ihr? Die Beziehung bleibt lose und auf
zufällige Wiedersehen beschränkt, Fabrégas ist zwar einerseits fasziniert,
andererseits ekelt ihn auch Venedig immer mehr an, er ist mehrfach entschlossen, die
Koffer zu packen. Doch immer wieder taucht die Frau unvermutet doch wieder auf,
führt ihn durch die Stadt an verborgene Orte und schließlich sogar in den
labyrinthischen Palast ihrer kuriosen Familie. Immer noch aber ist Fabrégas
nicht klar, worauf sie hinauswill. Erst spät wird bewusst, dass hinter ihrem
erratischen und undurchschaubaren Verhalten von Anfang an ein ausgeklügelter
Plan steckte. Cleverer Venedigroman Eduardo Mendozas (geboren 1943), der diesem
Genre durch zahlreiche Verweise von Thomas Mann bis Nicolas Roeg und dank des
Spiels mit dem makaber-geheimnisvollen Ruf der Stadt, aber auch ihrem Untergang
doch noch Neues abgewinnt. Und der zugleich sehr spannend und unterhaltsam ist.
Oskar
Maria Graf: Reise in die Sowjetunion 1934.
Auf
Einladung der Sowjets reiste Oskar Maria Graf (1897 bis 1967) mit zahlreichen
weiteren dem Sozialismus zugeneigten Schriftstellern Europas in das Rote Reich,
für viele noch immer eine unbekannte Größe. Graf war, wie nicht wenige seiner
deutschsprachigen Kolleg:innen, zu jener Zeit bereits im Exil, in seiner Heimat
war er persona non grata, in der Sowjetunion dagegen noch immer hoch angesehen.
Die Reise mit dem Zug, die Treffen auf dem großen Schriftstellerkongress und
die für die Gäste durchgeführten Reisen durch das Land beschreibt er mit
gewohnt bissigen Kommentaren, die sich allerdings hauptsächlich auf seine
deutschsprachigen Kolleg:innen beziehen. Graf selbst gefällt sich in der üblichen
Rolle des klugen Schlitzohrs in Lederhosen, die er – zur allgemeinen
Verwunderung und Begeisterung der Russ:innen – selbst bei offiziellen Anlässen
trägt. Grafs fragmentarischer Bericht, der zu Lebzeiten nie veröffentlicht
wurde, krankt mitunter an zwei Punkten: Seiner zwar satirisch verbrämten
Überheblichkeit gegenüber vielen Kolleg:innen – etwas, was er genau diesen
nicht selten vorwirft – und seinem verschleierten Blick auf die Sowjetunion.
Unkritisch ist Graf keineswegs, er sieht durchaus Defizite, aber im Großen und
Ganzen blickt auch er nicht hinter die Kulissen des Stalinschen Terrorstaates,
lässt sich zu leicht beeindrucken von offensichtlicher Kulissenschieberei. Ganz
unverständlich ist dies naturgemäß nicht: Selbst einem Terrorstaat entflohen,
musste Graf durch Alternativen die Hoffnung wahren. Endgültig emigriert ist er
schließlich jedoch nicht nach Russland – sondern in die USA.
Jack
London: Das Mordbüro.
Natürlich
klingt das verführerisch: Der große Jack London (1876 bis 1916), viel zu früh
verstorben, hat in seinem Nachlass ein unvollendetes Manuskript hinterlassen,
dessen Idee ebenso spannend wie bizarr erscheint: „The Assassination Bureau
Ltd.“, eine Agentur, die gegen Geld Mordaufträge ausführt. Geschmacklos,
zynisch – ausgerechnet der stets politisch stark engagierte London mit einer
menschenverachtenden Idee? Oder doch nur eine Satire, gewissermaßen der
Kapitalismus zum Äußersten getrieben? Weder noch. Londons Roman handelt
keineswegs von irgendwelchen mafiösen Strukturen noch von skrupellosen
Oligarchen, im Gegenteil, die Herren des Mordbüros sind hochgebildete und
angesehene Akademiker mit oft abseitigen Spezialgebieten – eher Numismatiker
denn Forensiker – und außerdem streng abwägende Idealisten. Wer sich an ihre
Organisation wendet, muss sich einer Prüfung unterziehen, die seinen Auftrag
rechtfertigt, die Beseitigung des Opfers muss aus nachvollziehbaren,
bestätigten und vor allem moralisch einwandfreien Gründen erfolgen – je nachdem
wird auch der Preis festgesetzt. Das Mordbüro tötet nur Menschen, effizient und
ohne Spuren, die der Menschheit Schaden zugefügt haben, korrupte Polizeichefs,
ausbeuterische Unternehmer, Mafiapaten. London flicht dies in eine private
Geschichte ein, in der ein junger Mann feststellt, dass ausgerechnet der Vater
seiner Geliebten der Oberboss des Mordbüros ist. Durch einen paradoxen Auftrag
versucht er ihn und seine Verbündeten von ihrem Treiben abzubringen, in dem er
ihm den Auftrag erteilt, sich selbst als Kopf einer menschenfeindlichen
Organisation von seinen Gehilfen umbringen zulassen. Die Jagd beginnt. Wie
gesagt, es klingt verführerisch und natürlich konnten sich die Verleger diese
Chance nicht entgehen lassen, obwohl der Text nicht vollendet war. Ein Kollege
Londons wurde beauftragt, den Roman zu vollenden. Das Ergebnis ist nicht gerade
der Reißer, denn man nach all dem soeben Beschriebenen vielleicht erwarten
könnte. Liest man im Anhang die Skizzen Londons zur Weiterführung seines
Buches, wundert man sich ohnehin, wie sehr der Vollender von diesen abgewichen
ist, aber ob dies zum Besseren oder Schlechteren war, bleibt offen. Bereits
grundsätzlich handelte es sich um keinen Thriller, sondern einen klassischen
Thesenroman, in langen, sehr gebildeten Dialogen wird über die Frage
verhandelt, ob und wann es gerechtfertigt ist, ein Menschenleben aus
vermeintlich guten Gründen zu beenden. Das ist natürlich eine sehr spannende
und durchaus wichtige Diskussion – in einem Essay. Als Roman dagegen liest sich das
sehr, sehr zäh. Die Handlung – immerhin eine typische Verfolgungsjagd – rettet
den Text nicht, da sie immer wieder ausgebremst wird und oft auch redundant
wirkt. Vielleicht wäre der Text besser ein Schubladengeheimnis geblieben.
Ilija
Trojanow: Meine Olympiade – Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen.
Der
Titel verrät an sich bereits alles. Schriftsteller Ilija Trojanow (geboren
1965) nimmt sich mit Mitte Vierzig nach den Spielen in London vor, in der nun
folgenden Olympiade bis Rio selbst die diversen Disziplinen professionell zu
erlernen und im Kurzdurchlauf zu absolvieren. Zwar fallen naturgemäß die
Mannschaftsarten weg, aber es bleiben genug, um das ehrgeizige Unterfangen
utopisch erscheinen zulassen. Doch Trojanow ist bestens motiviert, gut
international vernetzt, um an ausgesuchten Sportstätten mit hervorragenden Spezialtrainer:innen
arbeiten zu können und natürlich Schriftsteller, weshalb er all dies dokumentiert.
Obwohl auch die meisten Trainer:innen verständlicherweise zumeist erst einmal
reagieren wie Laien und Freunde: „Unmöglich zu schaffen“, lassen sie sich auf das
Experiment ein. Der Erfolg ist je nach Disziplin – wenig überraschend –
durchwachsen. Spitzenleistungen erbringt Trojanow erwartungsgemäß selten, aber er findet
Sportarten, die ihn begeistern, andere, die er vermutlich für immer abhakt.
Lesen wollen würden wir das vermutlich alles nicht, wäre Trojanow eben nicht
Trojanow, ein guter, sympathischer Berichterstatter über sich selbst – und die
Sportarten, über die man einiges erfährt, was einem vermutlich sonst nie
aufgefallen wäre. Von amüsant bis lehrreich, auch dank der Ehrlichkeit des
Autors, der sich in keiner Hinsicht schont, unterhält das Buch bestens. Es
motiviert vielleicht nicht unbedingt zum Nachahmen des gesamten Projekts, aber
womöglich zum Aufraffen, es mit der ein oder anderen faszinierenden Sportart
einmal zu versuchen – oder diese zumindest intensiver im Fernsehen zu
verfolgen.