Sonntag, 9. Februar 2014

Schwedin des Tages: Karin Boye.


 Auch Karin Boye hat den Literaturnobelpreis nicht bekommen, obwohl sie zu den wichtigsten schwedischen Lyrikerinnen des 20.Jahrhunderts gezählt wird. Mit dem Anfang eben dieses Säkulums 1900 (am 26.Oktober) in Göteborg zur Welt gekommen, ging sie, könnte man sagen, auch an dessen Krankheiten vorzeitig zugrunde. Schon mit 25 eine radikale Pazifistin (sie hatte eine führende Position in der Clarté-Bewegung des französischen Schriftstellers Henri Barbusse), erkannte sie nach einer ernüchternden Reise in die Sowjetunion die Gefahren des Parteikommunismus, fürchtete und verachtete aber noch mehr die aufsteigende faschistische Bewegung im benachbarten Deutschland. Der Beginn eines Zweiten Weltkriegs gerade einmal gut zwanzig Jahre nach dem Ende des Ersten dürfte ihr Vertrauen in die Menschheit und deren Zukunft zusätzlich schwer enttäuscht haben. Für sich persönlich sah sie mit vierzig Jahren keine mehr, nach mehreren gescheiterten Versuchen beging sie 1941 endgültig Selbstmord. 


Die Lyrikern Karin Boye ist außerhalb ihres Landes nicht sehr bekannt, doch auch um ihr Prosawerk ist es nicht – mehr – allzu gut bestellt, was die Aufmerksamkeit angeht. Dabei ist Astarte, ihr erster kurzer Roman aus dem Jahr 1931, ein beunruhigendes Buch; seltsam mutet es an, wie unverbraucht und erschreckend zeitgenössisch ihre neusachliche Schilderung der jungen schwedischen Generation für den heutigen Leser daherkommt. Astarte, die einst mächtige dämonische Göttin, ist nur noch Vorlage für eine neue Schaufensterpuppe, deren Hüften auf Anordnung der Reklamefachleute allerdings den Models der Kleidungsfirma angepasst werden müssen. Verbreitet wird die Mode und das Frauenbild der Zeit durch Zeitschriften mit Namen à la „Die Welt des Heimes“ und „Der heimische Herd“, was nicht sehr viel anders klingt als „Schöner Wohnen“ oder der gesamte „Landhaus/-freund“-Blätterwald. Zuständig für die Anfertigung der Kleidung sind kleine Kinder in...China. Karin Boye beweist hier bereits einen ernüchterten Blick auf ihr Umfeld, mit ironischen Zügen, hinter denen aber auch eine gewisse Abscheu durchscheint. Keine elitäre Verachtung, sondern Verachtung für das vermeintlich Elitäre.   

Eine ganz andere als die modisch-oberflächliche Gesellschaft der Dreißiger Jahre schildert sie knapp zehn Jahre später (1940) in ihrem Roman aus dem 21.Jahrhundert (so der Untertitel): Kallocain. Das Buch gilt manchem als Klassiker der Dystopie neben Orwells 1984, Huxleys Brave New World oder Samjatins Wir. Es ist Karin Boyes berühmtestes Werk und es verdient, noch – oder wieder – viel berühmter zu werden. Schließlich sind wir ja inzwischen längst in diesem 21.Jahrhundert angekommen. 

Leo Kall, ein Chemiker in Diensten des Weltstaates, einem von zwei totalitären Gebilden, die die Erde unter sich aufgeteilt haben, erfindet eine Art Wahrheitsserum. Einmal verabreicht, ist der damit infizierte für einige Minuten ohne jegliche Hemmungen bereit, sich zu seinen tiefsten Gefühlen und innersten Gedanken zu bekennen. Das Kallocain muss in den Augen des Überwachungsstaates wie ein Heilmittel für alle Probleme wirken, naturgemäß hat die Polizei größtes Interesse an Kall und seinem Geniestreich. Dieser, linientreu wie er ist, hat hiermit keinerlei Problem, im Gegenteil, er setzt große Hoffnungen für seine Karriere in die Zusammenarbeit mit den Behörden. Gerade weil in ihm stets unterdrückte Zweifel auftauchen, gebärdet er sich umso eifriger, Experimente an Menschen durchzuführen, die auch gelingen, und sich hiermit weiter oben anzubiedern. Der Satz des örtlichen Polizeichefs Jeder könnte aufgrund von Kallocain verurteilt werden, der so und in anderer Form immer wieder auftaucht, zeichnet die Gefahr nur zu deutlich an die Wand. Als die Anwendung offiziell ausgeweitet und durch strengere Gesetze zum Mittel für Massenverhöre werden kann, geschieht, was geschehen muss. Keiner kann unschuldig bleiben – die Menschen aus Kalls Umgebung verschwinden als Verurteilte nach ihren Geständnissen.

Das Ende bleibt offen, der Weltstaat, oder zumindest die Stadt, in der Kall wohnte, werden vom Feind erobert, bevor die Wirkung des Kallocain die Gesellschaft gänzlich unterhöhlt. Welch unreife und sinnlose Forderung, einen Menschen für sich zu wollen, auf den man sich in jedem Falle, was auch immer er tun möge, verlassen kann! hat sich Kall einst empört, der am Ende von allen verlassen ist – und der durch das Kallocain erkennen musste, das seine engste Umgebung, seine Frau und sein Chef (den er der Hinrichtung ausgeliefert hat) viel weiter waren in ihren Sehnsüchten nach Freiheit.

Zwar ist ihm dies bewusst geworden, doch als ihm der Feind anbietet, in Gefangenschaft seine Erfindung nun für die andere Seite zu produzieren, greift er ohne längere Überlegung zu. Das Kallocain wird somit weiterexistieren. Kall, der Ich-Erzähler – das Buch ist ein fingiertes Manuskript – dient seinen neuen Herren noch Jahre nach seinem Tod (in einer abschließenden Notiz des Zensors) als abschreckendes Beispiel eines verkommenen Menschen aus dem korrupten Land des Feindes. Hinter diesen Worten verbirgt sich – ein weiteres Mal – die böse, aber auch schon resignierte Ironie der Karin Boye. Das feige Verhalten Kalls, der den Samen gesetzt hat zur Zerstörung tausender Menschen und letztlich seiner gesamten Gesellschaft, der aber auch erkannt hat, welche Möglichkeiten sich hinter der totalitären Fassade verbergen, der am Ende bereits befreit wirkt, ist zu schwach, ist tatsächlich korrupt und verkommen, und lebt in unwürdiger Existenz, nur um passiv weiter die Leben anderer zu zerstören.
 

Dieses Buch, das ich jetzt zu schreiben beginne, muss vielen sinnlos erscheinen, lautet der fulminante erste Satz von Kallocain. Möglicherweise kommentierte sich Karin Boye, wiederum ironisch gebrochen, indem sie diese Worte Leo Kall in den Mund legt, hier selbst – es steht zu hoffen, das sie damit nicht recht hat. Peter Weiss, selbst Emigrant in Schweden, hat die ihm bekannte Schriftstellerin in seinem eigenen Meisterwerk verewigt. Dessen Titel passt gut zu ihrem Leben und ihren Büchern: Die Ästhetik des Widerstands.                       

 

 

Samstag, 8. Februar 2014

Schwedin des Tages: Charlotta Jonsson.



Der Schwedenkrimi ist ein Mythos – und ein Mysterium. Seit den Romanen des Autorenduos Maj Slöwall und Per Wahlöö hat sich der sozialkritische Krimi aus dem Norden etabliert, mit den Büchern Henning Mankells und zahlreicher Nachfolger mit nicht minderem Erfolg (Hakan Nesser, Stieg Larsson, der Norweger Jo Nesbo und viele mehr) seit den Neunziger Jahren den gesamten Kontinent, aber insbesondere die deutschen Bücherregale zahlreich bevölkert. Zeitweilig musste man den Eindruck gewinnen, mancher Autor habe seinen Namen einfach kurzerhand skandinavisiert oder doch wenigstens die Handlung Richtung Norden verlegt, um mehr Leserinnen und Leser zu finden.

Stellt sich natürlich die Frage, warum gerade die Nachbarn aus der Bundesrepublik mit offensichtlich wohligem Grusel jedem schwedischen Krimi-Schreiber seine mehr oder minder spannenden Ergüsse regelrecht aus der Hand rissen? Vielleicht war man hierzulande ganz froh, lesen zu können, dass im landschaftlich so schönen und sozial so fürsorglichen Schweden auch nicht alles Gold war, was glänzt und sich unter der harmonischen Oberfläche blutig-brutale Abgründe auftaten. Dafür hätte man allerdings auch einfach nur in die Zeitung sehen können.  

Es konnte nicht ausbleiben, dass auch die Filmindustrie sich die Attraktivität der Schwedenkrimis zunutze macht, weshalb nun auch das Vorabend- und Nachtprogramm zahlreiche Einblicke in das Leben skandinavischer Kommissare und Kommissarinnen, aber natürlich auch bösartiger Verschwörerzirkel und skrupelloser Mörder gewährt – wobei der ursprüngliche Nebeneffekt, etwas über Land und Leute sowie politische Verhältnisse zu erfahren, manches Mal nur noch reichlich dürftig zu Tage tritt. Neben eigenständigen Filmen und Serien war es nur natürlich, dass auch Mankells Romane eine Bildschirmversion bekommen sollten (letztlich sogar drei, die gleich erwähnte, eine frühere Fernsehversion und eine spätere britische Reihe).

Dem verdanken wir es – aufgrund der Beliebtheit des Genres in Deutschland beteiligte sich die ARD an der Finanzierung –, dass in die heimischen Flimmerkisten erfreulicherweise schwedische Schauspielkunst zu besten Sendezeiten Einzug erhielt (also nicht nur ab und zu ein Ingmar-Bergman-Film kurz nach Mitternacht auf arte). Insbesondere erfeulich ist dies im Fall der Akteurin Charlotta Jonsson.

Charlotta Jonsson, geboren am 11.Mai 1973, übernahm nämlich die Rolle von Wallanders Tochter Linda während der Phase, in der der alternde Kommissar – eine ebenfalls sehr gekonnte schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers Krister Henriksson – aufgrund seiner Alzheimer-Krankheit stark abbaut, ohne sich dies einzugestehen. Das verlangt, wenig überraschend, der mit ihm zusammenarbeitenden Tochter einiges ab. Charlotta Jonsson setzt dies in ihrer Rolle als das Dilemma zwischen Verpflichtung gegenüber dem Vater (nachdem er ihr seine Krankheit endlich eingestanden hat) und Überforderung mit der Situation in ihrer zurückhaltenden Art bewundernswert um.

Dies liegt mit Sicherheit auch daran, dass sie von der klassischen Bühne kommt, sie studierte erst in New York, später dann an der Theaterhochschule in Göteborg. Noch immer spielt sie regelmäßig auf den Bühnen der schwedischen Großstädte, und gelegentlich übernimmt sie auch die Regie. Dem heimischen Publikum in Schweden ist sie jedoch besonders aus zahlreichen Serien und TV-Filmen bekannt, dazu leiht sie ihre Stimme gern für Radioproduktionen, und hin und wieder auch -werbung. So gesehen (und gehört) sind die schwedischen Nachbarn mal wieder im Vorteil, denn nachdem Kurt Wallander in der deutsch-schwedischen Kooperation inzwischen seinen Dienst beendet hat, müssen wir wohl erstmal auf ihre Präsenz hier im Süden verzichten. Bleibt auf die Wiederholungen zu hoffen, auf neue schwedische TV-Filme kurz nach Mitternacht auf arte – oder die Besetzung Charlotta Jonssons als Kommissarin in irgendeinem neuen Schwedenkrimi.
 
 

 Homepage (schwedisch): http://charlottajonsson.com/

                

Freitag, 7. Februar 2014

Schwede des Tages: Olof Palme.



Olof Palme, Bruno Kreisky, Willy Brandt, das war Anfang der Siebziger Jahre das Dreigestirn der europäischen Sozialdemokratie und ein ersehnter Lichtblick für alle, die mit dieser sympathisierten. Der eine, Willy Brandt, seit 1969 Bundeskanzler Westdeutschlands, dass er aus dem Muff der klerikal-konservativen Adenauerjahre und zur Aussöhnung mit dem Ostblock führte. Der andere, Bruno Kreisky, machte sein kleines, fast vergessenes Land Österreich aufgrund von dessen geographischer Lage und Neutralität seit seinem Amtsantritt 1970 zu einem wichtigen Vermittler der Blöcke. Und der dritte im Bunde, Olof Palme, hatte seit 1969 das Glück, Schweden regieren zu dürfen, ein Land, das, wie schon erwähnt, ohnehin jeder in Europa zu beneiden schien um seine wirtschaftliche Stabilität, seine Neutralität und vor allem seinen fürsorglichen Sozialstaat plus hervorragender Bildung für den Nachwuchs. Ganz zu schweigen davon, dass alle drei die jeweilige Gesellschaft ihres Landes um einiges voranbrachten, indem sie demokratische und soziale Reformen anstrebten und durchsetzten. 

Mitte der Achtziger Jahre war von dieser Aufbruchstimmung nur wenig geblieben. Willy Brandt war schon 1974 als Bundeskanzler mehr oder weniger freiwillig abgetreten, Bruno Kreisky legte sein Amt nach Verlust der absoluten Mehrheit 1983 nieder, fädelte als eine Art Danaergeschenk für die österreichische Politik jedoch vorher noch eine Koalition mit der rechtslastigen FPÖ für seinen Nachfolger – Fred Sinowatz – ein.

Allein Olof Palme regierte noch immer – oder besser wieder: 1982 kam er nach einer mehrjährigen Unterbrechung noch einmal ins Amt des schwedischen Regierungschef zurück. 1969 hatte er dieses vom langjährigen und sehr populären Ministerpräsidenten Tage Erlander (1945-1969) übernommen, dem der am 30.Januar 1927 in Stockholm geborene Palme bereits als Verkehrs- und Bildungsminister gedient hatte. Die Sozialdemokraten standen in Schweden auf dem Höhepunkt ihrer Macht, die Wirtschaft brummte, mit den hohen Steuereinnahmen finanzierte man das berühmte aus der Vorkriegszeit übernommene und den modernen Verhältnissen angepasste Volksheim-Modell umfassender Fürsorge und Bildung. Man war Mitglied der UNO, trotzdem neutral mit einer gewissen Anbindung an den Westen, das Verhältnis zur nahen Sowjetunion war jedoch ebenfalls überwiegend freundlich.

Palme war, wie seine Zusammenarbeit mit Kreisky und Brandt und viele weitere von ihm ausgehende oder mitgetragene internationale Initiativen zeigten, auch ein versierter Außenpolitiker, innenpolitisch war seine Amtszeit besonders am Beginn geprägt von allgemeinem Wohlstand und ruhigen Verhältnissen, der Verwirklichung des Ideals der „starken“, aber vor allem „freien Gesellschaft“. Mit der Ölkrise und dem damit einerseits einhergehenden wirtschaftlichen Abschwung und andererseits einer stark polarisierenden Debatte über Atomkraft zeigten sich erstmals ernste Krisensymptome. Ersterem war nur mit immer weiteren Steuererhöhungen beizukommen, letzteres spaltete die schwedische Wählerschaft. Offiziell unterstützte die sozialdemokratische Partei den Ausbau der als umweltfreundlich und ölsparend erachteten AKWs, doch in der Bevölkerung stieß diese Sicht der Dinge bei weiten Teilen auf wenig Gegenliebe. Einen Kompromiss (Förderung des gegenwärtigen Ausbaues, aber langfristig Ausstieg) gab es erst 1979 – da war Olof Palme schon nicht mehr an der Regierung.

1976 war er abgewählt worden, es folgte eine Zeit bürgerlich-konservativer Regierungen, die erst 1982 nach einer weiteren verlorenen Wahl 1979 wieder besiegt werden konnten. Und zwar von Olof Palme, der somit seine zweite Amtszeit als Ministerpräsident antrat. Das maßgebliche Ziel, den Sozialstaat ohne Abstriche zu erhalten, war ohne drastische Belastungen durch Steuern nicht durchführbar, dazu kam eine unerwartete Krise mit der Sowjetunion, denn ein 1981 in schwedischen Gewässern aufgetauchtes U-Boot hatte für Befürchtungen unter den Schweden gesorgt, die eine erhebliche Aufrüstung zur Folge hatten.  

1986, am 28.Februar, wurde Olof Palme nach einem Kinobesuch in Stockholm Opfer eines Attentats, bei dem auch seine Frau verletzt wurde. Die Hintergründe wie auch die Suche nach den Tätern wurden bald zum Anlass zahlreicher Spekulationen – aufgeklärt wurde der Anschlag jedoch bis zum heutigen Tage nicht. Die prominenteste Theorie geht von einer Verwicklung rechtsradikaler Kreise und von Beteiligten auch innerhalb der schwedischen Polizei aus, doch bewiesen wurde all dies nie. Obwohl Land und Partei ohnehin längst in der Krise steckten, wirkte der Mord an Olof Palme wie ein Fanal, dass die Hoffnungen des gesellschaftlichen Aufbruchs der 70er Jahre mit einem ihrer berühmtesten Vertreter nun endgültig ihr Ende gefunden hatten.

 

           

    

 

 

Donnerstag, 6. Februar 2014

Schwedin des Tages: Lotta Schelin.



Der erste offizielle europäische Fußball-Europameister war – Schweden. Es war im Jahr 1984, als man das erste Mal einen kontinentalen Titel für Frauen austrug, zu dieser Zeit waren die Skandinavierinnen dem Rest Europas in dieser Disziplin noch um einiges voraus. Von den deutschen Damen vielleicht abgesehen, waren die Schwedinnen und Norwegerinnen eindeutig favorisiert und so trug man unter Trainer Ulf Lyfors den Sieg davon.

Die schwedische Nationalmannschaft konnte zwar seither keinen Titel mehr gewinnen, zählt aber noch immer zu den besten Europas (neben dem tonangebenden Deutschland und mit dem in etwa gleichwertigen Frankreich) – und damit auch der Welt, die im Frauenfußball weiterhin von der USA regiert wird; die Japanerinnen konnten aufschließen, während die guten Zeiten der Spielerinnen aus Brasilien, wie einst der nachbarlichen Konkurrenz aus Norwegen, vorüber oder zumindest derzeit in die Ferne gerückt scheinen. 

Einen Titel im Nationaltrikot konnte demnach auch die am 27.Fenruar 1984 in der Hauptstadt Stockholm geborene Lotta (eigentlich Charlotta Eva) Schelin noch nicht feiern, obwohl mancher Titel schon greifbar in die Nähe gerückt war. Während der WM in Deutschland erreichte sie immerhin Platz drei (hinter Weltmeister Japan und den USA), bei Olympia 2012 in London verlor man das Viertelfinale und bei der Europameisterschaft im heimischen Schweden reichte es – „nur“ aus Sicht der ambitionierten Equipe – für das Halbfinale, in dem die Mannschaft den späteren deutschen Europameisterinnen unterlag. Dabei hatte man mit der charismatischen Trainerin Pia Sundhage, die einst zur erfolgreichen schwedischen Mannschaft des Jahres 1984 gehörte, die Goldmedaillengarantin der USA verpflichtet, die ihre erfahrene Stürmerin Lotta Schelin zur Kapitänin ernannte. Ebenfalls ein Trost für die Spielerin mit der Nummer 8 auf dem Trikot: mit fünf Toren wurde sie Torschützenkönigin des Turniers. 

Lotta Schelin nach dem gewonnenen CL-Finale in München 2012
(c) B.Grimmler
 
Eine Titelsammlerin ist die Mittelstürmerin aber trotzdem, dank ihres Vereins, Olympique Lyon, für den sie seit 2008 aufläuft. Nacheinander gewann sie mit ihren Vereinskameradinnen jede französische Meisterschaft (insgesamt fünf seit 2009), zweimal den nationalen Pokal (2012 und 2013) und, international am bedeutendsten, zweimal die Champions League. Viermal hat sie mit Lyon das Finale des prestigeträchtigen Wettbewerbs erreicht, 2011 und 2012 errang man den Titel.

Obwohl die schwedische Liga neben der deutschen mit die professionellste in Europa ist, wandern viele Schwedinnen über die Ostsee aus, um bei den großen deutschen, britischen oder eben französischen Clubs zu spielen. So trifft Lotta Schelin, die diesen Weg vom Göteborger FC kommend selbst einst ging, inzwischen in der französischen Liga D1 auf ihre Stürmerkolleginnen aus der Nationalmannschaft Josefine Öqvist (Montpellier) und Kosovare Asllani (Paris Saint-Germain).

In Lyon ist Lotta Schelin für gewöhnlich unter dem gestrengen Regiment des Patrice Lair gesetzt – allein dies eine Auszeichnung. Noch dazu, wenn man das hohe Niveau des Starensembles mit seiner Konkurrenz betrachtet. Ihre Bilanzen sprechen allerdings für sich. Eher grazil und alles andere als bullig, bringt sie mit ihren 1,78m Gardemaß für eine Mittelstürmerin mit (zum Vergleich: die beiden weltbesten Torhüterinnen Nadine Angerer und Hope Solo sind jeweils nur 1,75m groß). Dass sie 2013 Torschützenkönigin der D1 wurde, überrascht kaum, wenn man ihre Quote betrachtet: in mittlerweile gut 150 Pflichtspielen für Lyon hat sie ebenso oft getroffen.   

Bei den Fans erfreut sich die freundliche und fröhliche Schwedin ohnehin großer Bewunderung und Beliebtheit, auf dem Platz naturgemäß aufgrund ihrer vielen Tore, neben dem Platz wegen ihres zuvorkommenden Auftretens. Den Preis als Fußballerin des Jahres ihres an guten Fußballerinen wie erwähnt nicht armen Landes hat sie ebenfalls des öfteren mit nach Hause nehmen dürfen. Er trägt den schönen Namen Diamantbollen 

Das nächste Spiel der Schwedinnen ist übrigens gegen – natürlich, Frankreich. Dann, am 8.Februar, trifft Lotta Schelin die meisten ihrer Vereinskameradinnen wieder: im Trikot der Équipe Tricolore in der gegnerischen Spielhälfte. 
P.S. Aktuell sieht es leider danach aus, als könnte Lotta Schelin das Spiel mit der Nationalmannschaft gegen ihre Vereinskolleginnen verletzungsbedingt nicht bestreiten - gute Besserung!

 

 

Mittwoch, 5. Februar 2014

Schweden des Tages: "The Cardigans".


The Cardigans 

Dass Schweden zu den führenden Nationen gehört, was den Export von Musik angeht (nach den USA und Großbritannien), wurde bereits erwähnt. Vermutlich ist es sogar führend in dieser Hinsicht unter den nicht-englischsprachigen Nationen. Fast jedes Jahrzehnt wurde auch von einer schwedischen Gruppe geprägt, die Siebziger natürlich von ABBA, die Achtziger von Roxette, die Neunziger von Ace of Base, die 2000er Jahre von Mando Diao oder The Hives – und da sind viele mehr, die zeitgleich erfolgreich waren und sind und manche, von denen kaum jemand ahnt, dass es sich um Schweden handelt. 
 

ABBA, an Bekanntheitsgrad und noch immer andauernder Popularität nur von wenigen übertroffen, zählen ganz sicher nicht zu den Vorbildern der Cardigans, im Gegenteil, deren Frontfrau Nina Persson äußerte sich gelegentlich vorsichtig formuliert eher wenig ehrerbietig gegenüber ihren Landsleuten. Kein Wunder, musikalisch ist man dann doch etwas weit auseinander, noch mehr aber, was die Texte angeht.
 

The Cardigans wurden einst recht berühmt durch einen Soundtrack zu einer Neuverfilmung von Romeo und Julia, ihr bereits vorher herausgebrachtes Lied „Lovefool“ ging – mit neuem Video – hinauf in Charthöhen, die für diese Band eher untypisch waren. Für ein für diese Band, wie das eben so oft ist, auch eher untypisches Lied. Recht brav und radiotauglich kam es daher, Nina Persson als personifiziertes blondes Schwedenmädchen kullerte schön die Augen auf den Bildschirmen von MTV und Co. Nur wer genau hinhörte, konnte das dann doch wieder sehr charakteristische an ironischen Brechungen im Text heraushören – und wer andere Videos und Auftritte von Nina Persson kennt, wird sie kaum für ein süßes Mädel aus dem Norden halten. 

Ein schönes Beispiel für die Selbstironie, welche die Band gerne zelebriert, sind die Videos zu Erase/Rewind und insbesondere My Favourite Game, beide gehören noch zu den bekannteren. Das eigentlich bewundernswerte der musikalisch schwer einzuordnenden Gruppe sind die teils sehr komplexen, sehr zeitgenössisch desillusionierten Texte, die trotzdem einen Verfall in die Verzweiflung ablehnen. Am besten ausgedrückt wird dies durch ein sehr kurzes Stück – quasi ein gesungener Aphorismus, der den Hintergrund für diese Philosophie des „fatalistischen Selbstbewusstseins“ prägnant zusammenfasst:
 
Do you really think/ that love is gonna save the world?
Well I don’t think so/ I just don’t think so
Do you really think/ that love is gonna save your soul?
Well I sure hope so/ I really really hope so
But I don’t think so
 
Was unter dem Begriff eines fatalistischen Selbstbewusstseins, eines Bewusstseins, das sich wider besseres Wissen nicht unterkriegen lässt (ein leicht zu erkennender Rückgriff auf einen übertragenen Existentialismus) – schlichter ausgedrückt, das Leben ist ohne Zweifel ziemlich beschissen, aber das ist noch lange kein Grund, zu resignieren und sich nicht zu wehren, so aussichtslos das ist. Was also darunter zu verstehen ist, wird des öfteren in den Texten nur zu deutlich – so in A Good Horse: 
 
These are the promises I can keep
To live like I must
And ride with the dust in my face
In grace
I found myself a good horse
Yeah, I found myself a good horse
But things remained no different than before... 
 
Oder in Live and Learn: 
 
Well you get what you give
And hell yes I lived
But if you live as you learn
I don’t think I'd be learned
Oh with the sun in my eyes
Surprise, I’m living a life
But I don’t seem to learn
No I don’t think I can learn

Und so reicht die Bandbreite der Cardigans von bitteren Anklagen, bösartig Abgründigem (die Texte von And Then You kissed Me I&II sollte man sich sehr, sehr genau anhören!) bis hin zu fröhlichen Absagen – und zahlreichen komödiantischen Elementen, um über die bösen Launen des Lebens hinwegzukommen (Parodien in Text und Musik von Klassikern gehören zum üblichen Repertoire, siehe u.a. Sabbath Bloody Sabbath). Vielleicht auch einer der Gründe, warum sich die Gruppe so schlecht einordnen lässt und somit stets unter „Indie-Irgendwas“ abgehandelt wird. Nicht-Klassifizierbarkeit ist schließlich oft ein Qualitätszeichen.
 
Nach der Gründung 1992 veröffentlichten die Cardigans ab 1994 Emmerdale, First Band on the Moon (1996), Gran Turismo (1998) und nach einiger Pause Long Gone Before Daylight (2003) sowie Super Extra Gravity (2005). Auf eine klug ausgesuchte Compilation mit den Singles, aber auch raren B-Sides im Jahr 2008 verfolgten die einzelnen Bandmitglieder oftmals Solo-Projekte. So veröffentlichte Nina Persson kürzlichst ihr Album Animal Heart. Auf weitere gemeinsame Alben wäre trotzdem zu hoffen. Dringend. 
 
Die Besetzung der Cardigans:
Nina Persson: Vocals
Peter Svensson: Guitar
Magnus Sveningsson: Bass
Lars Olof Johansson: Keyboards
Bengt Lagerberg: Drums

Homepage: http://www.cardigans.com/?sid=default&bfs=1

 
  
 
 

            
 
   
 
 

Dienstag, 4. Februar 2014

Schwede des Tages: August Strindberg.


 
Der, zumindest in der allgemeinen Wahrnehmung, bekannteste schwedische Exportartikel auf  dem Gebiet der Literatur ist sicherlich – der Nobelpreis. Die Frage, ob es dies für Autoren und Autorinnen des Landes einfacher oder schwieriger macht, ihn zu bekommen, wird gern diskutiert, ist jedoch recht müßig. In jedem Fall beeindruckt die lange Liste (acht Geehrte, siehe unten) an Gekürten, die das an Einwohnern nicht gerade große Land bislang hervorgebracht hat und die mit den großen europäischen Kulturnationen mithalten kann. Vielleicht daher der Verdacht allzu großer Nähe des Komitees, der allerdings ignoriert, wie produktiv das Land generell auf kulturellem Gebiet ist. So gesehen ist die große Repräsentanz mehr als gerechtfertigt (nebenbei haben durchaus auch andere kleinere Länder, wie etwa Irland, eine Vielzahl von Künstlern und insbesondere Dichtern – und  Literaturnobelpreisträgern – vorzuweisen). 

Gleichwohl – das gutbürgerliche Komitee mag zwar den ein oder anderen Außenseiter lieben, die exzentrischen Nonkonformisten dagegen finden eher wenig Anklang, weshalb so manch großer Kopf der Literatur nie seinen Weg in die engere Auswahl der Ausgezeichneten gefunden hat. Kurioserweise fehlt somit der unzweifelhaft größte Schriftsteller, den Schweden bislang hervorgebracht hat: August Strindberg. 

Müsste man einen kurzzeiligen Lexikonartikel in nüchtern-sachlichem Ton über Strindberg verfassen, klänge dies wohl ungefähr so:
Johann August Strindberg, geb. 22.Januar 1849 in Stockholm, gest. 14.Mai 1912 ebenda. Bedeutendster Dramatiker Schwedens (u.a. Fräulein Julie, Nach Damaskus, Totentanz, Gespenstersonate), dazu einflussreiche Prosawerke (Das Rote Zimmer, Am offenen Meer, Inferno), außerdem Lyrik, naturwissenschaftliche Werke, Versuche auf dem Gebiet der Malerei und der Photographie. Verursachte mehrere politische und literarische Skandale. Langjährige Auslandsaufenthalte (Frankreich, Schweiz, Deutschland, Dänemark). Strindberg war dreimal verheiratet, aus den Verbindungen gingen fünf Kinder hervor. Anfangs Vertreter des Naturalismus, wandelte sich Strindbergs Stil zunehmend zu einer eigenständigen Form, die Elemente des Realismus, Symbolismus und des frühen Expressionismus vermischte.  
 
Die Altstadtinsel Riddarholmen - Geburtsort Strindbergs
(c) Detlef Menzel - Pixelio.de
 

Soweit, so gut. Verkehrt sind diese puren Fakten nicht, doch verbergen sie das Wesen Strindbergs, des letzten Universalgenies Europas, wie er – zurecht – genannt wurde und für das er sich sicher selbst hielt. Er war sowenig einzuordnen wie seine Literatur nach der Abkehr vom Naturalismus. Er liebte seine Heimat Schweden und insbesondere die Schären, und verfasste Werke, darunter zahlreiche journalistische Artikel, die Land und Bevölkerung beschimpften, so dass er ins Ausland floh, um der Häme und dem Hass zu entgehen. Er verfasste zahlreiche Dramen über die schwedische Geschichte, doch verachtete das Königshaus – was auf Gegenseitigkeit beruhte. Er inszenierte sich stets als Mann der unteren Klassen, kämpfte auf Seiten der Bauern und Industriearbeiter, beschrieb das Leben der französischen Landleute und des einfachen schwedischen Lebens in zukunftsweisenden kulturgeschichtlichen Werken – und vertrat eine Philosophie des Geistesaristokratismus, zeitweise der rassischen Überlegenheit, hatte Sehnsucht nach einem elitären Intellektuellen-Adel und der Uniform. Er ging als einer der großen Frauenhasser schon zu Lebzeiten in die Geschichte ein, heiratete dreimal, um sich mit seinen Frauen, oft schon nach kürzester Zeit (die erste Ehe hielt etwas länger), aufs Böseste zu überwerfen – da er diese privaten Streitig- und Schwierigkeiten stets überhöhte und verallgemeinerte, wurde er dem Ruf des misogynen Frauenverächters, den er stets nach außenhin noch befeuerte, nur zu gerecht, obwohl er von den Frauen nie ließ und etwa seinen Kindern durchaus ein guter Vater war. Wer noch heute als sein Freund, von ihm verehrt oder als Lehrmeister betrachtet worden war, den konnte er schon morgen aufs Tiefste verdammen und in aller Öffentlichkeit beschimpfen – und sich auch wieder mit ihm versöhnen. Religiös im pietistischen Protestantismus erzogen, verfolgte er die Religion später mit Hohn und Spott, wandte sich dem Okkulten und, sehr beliebt in jenen Tagen, dem Satanismus zu, nur um später eine eigene Form der katholisierenden Religiosität zu entwickeln, in der er so etwas wie sein eigener Gott wurde. Er schrieb erstaunlich moderne Texte etwa über die Photographie und war ein reichlich unterschätzter Maler, aber er glaubte, er müsse gleichzeitig die Naturwissenschaften revolutionieren und entwickelte bizarrste Theorien, die ihn in der Wissenschaft der Lächerlichkeit preisgaben. 

Dies könnte man noch weiter ausführen, doch man ahnt das Schema: Hier liegt das Genie fast in seiner populärsten Form vor. Seiner Zeit weit voraus, unglaublich produktiv, „menschlich schwierig“, um es sehr nett auszudrücken, und doch seine Umgebung und erst recht die Nachwelt faszinierend. 
Hätte man gerne ein Bierchen am Abend mit ihm trinken wollen? Nun, vorausgesetzt er hätte nicht gerade eine seiner abstinenten Phasen gehabt – denen, natürlich!, Phasen exzessiven Alkoholkonsums gegenüberstanden –, hat er gerade bayerisches Bier sehr zu schätzen gewusst und unzweifelhaft war er jemand, der unterhaltsam und spannend einiges zu erzählen gehabt hätte. Dabei macht es dann wohl nicht einmal einen Unterschied, ob man nun männlichen oder weiblichen Geschlechtes wäre, damit rechnen, dass er es einem später heimzahlen würde, wen man irgendwie sein Misstrauen erregt hätte, müsste man so oder so. Es ginge einem wohl so wie seinen Landsleuten mit ihm als er noch lebte: man hätte es nicht allzu leicht. Am Ende seines Lebens aber liebten ihn viele Schweden und vor allem die Sozialdemokraten, sie ehrten ihn zu seinen Geburtstagen mit riesigen Aufmärschen und machten seine Trauerfeier zu einem rotem Flaggenmeer.  

Sein Leben war stilisierte Kunst und er stilisierte in seiner Kunst sein Leben, auf eine radikale Art und in so bahnbrechender Form, das nichts von ihrer Kraft und Ausstrahlung verloren ging – es ist ein großes Kompliment, wenn sein Biograph Rüdiger Bernhardt über sein Werk schreibt: „Strindberg eignet sich bis auf den heutigen Tag nicht für Schul- und Lesebücher.“ 
 

Die schwedischen Literaturnobelpreisträger und –Trägerinnen: 

Selma Lagerlöf 1909
Verner von Heidenstam 1916
Erik Axel Karlfeldt 1931
Pär Lagerkvist 1951
Nelly Sachs (die gebürtige Deutsche war nach Schweden emigriert) 1966
Eyvind Johnson und Harry Martinson 1974
Tomas Tranströmer 2011        

Montag, 3. Februar 2014

Schwedische Woche bei "À rebours".



Schweden. Genau genommen ein nicht ganz korrekt übertragener Name, denn Sverige, das schwedische Original, bedeutet „Schwedisches Reich“. Auch das Parlament nennt sich ja noch immer Reichstag – und meint damit nicht wie in der Bundesrepublik lediglich das Gebäude. Beides verweist darauf, dass das stets als nach außen friedliebend-neutral und innen behutsam-sozial wahrgenommene Land ganz andere Zeiten hinter sich hat. Es war jedenfalls nicht immer nur angenehm, mit dem nordischen Volk benachbart zu sein.
 

Dabei ist das, was hier heute als Schweden kennen, gewissermaßen ein Spätentwickler. Zwar berichten bereits römische Autoren von Völkern, die auf dem Boden des jetzigen Landes beheimatet waren und mit denen man in engem Kontakt stand, aber eine Art Staatsgebilde formten die Svear, eines dieser erwähnten Völker, erst hunderte von Jahren später, und auch dies nur als losen Bund (ab Mitte des 1.Jahrtausends). Klischeehaft verbinden sich bis auf unsere Tage die Wikinger mit der schwedischen Geschichte, die ab ungefähr 800 auftraten, allerdings zogen diese so genannten „Waräger“ zumeist – anders als ihre noch nördlicheren Kollegen – Richtung Osten, waren also nicht die Hornträger in Drachenschiffen, die im Westen Europa lange für Angst und Schrecken sorgten. Bei den Warägern handelte es sich auch nicht um eine Kriegerkaste, sondern um Landleute, gewissermaßen nicht Raubritter, sondern Raubbauern.

Ein Königreich Schweden existiert erst seit 1008 – dafür allerdings durchgehend bis heute. Anfangs taten sich die Könige ziemlich schwer, doch unter Magnus II. Eriksson (1319-1363) war das Land plötzlich zum (gebietsmäßig) größten in ganz Europa zusammengewachsen, der Monarch unangefochtener Herrscher. Nicht für lange, schon unter seinen streitlustigen Söhnen brach das Gefüge auseinander – und noch schlimmer, am Ende des Jahrhunderts befand man sich gar unter dänischer Oberherrschaft.

Diese dauerte bis 1523 an, als Gustav Vasa den Thron betrat und Schweden in die Unabhängigkeit und gegen große Widerstände in die Reformation führte (Gustav hatte weniger Interesse an der Religion, sondern vielmehr an den lukrativen Kirchengütern). Nach einigen Wirren etablierte sich Schweden als das Gegenteil dessen, was es im 20.Jahrhundert wurde: eine europäische Großmacht mit Expansionsdrang. Unter Gustav Adolf griff man bekanntlich in den Dreißigjährigen Krieg ein und damit erstmals Richtung Westen – recht erfolgreich, wenn man bedenkt, dass Schweden sich u.a. Teile der deutschen Küste sichern konnte; in Mecklenburg-Vorpommern sogar bis Anfang des 19.Jahrhunderts. Neben Finnland gehörten Mitte des 17.Jahrhunderts schließlich auch noch zahlreiche Gebiete Dänemarks und einige norwegische Provinzen zum Schwedischen Reich, es war auf seinem Zenit. Möglich war dies aufgrund seiner überlegenen Armee, insbesondere der Ostseeflotte, und auch im Innern war das Land ein straff organisierter Militärstaat.

Der Abstieg begann mit sich ausbreitendem aufklärerischen Gedankengut und der Rückkehr der politischen Wirren, die einen Verfall der Königsmacht bewirkten. Aus den Napoleonischen Kriegen ging man, obwohl nur peripher beteiligt, geschrumpft hervor, die deutschen und vor allem finnischen Gebiete waren verloren, dafür gab es fortan eine Personalunion mit Norwegen, die gut 100 Jahre anhielt (von 1814 bis 1905). Nach der endgültigen Trennung der beiden Staaten wurde Schweden zu einer demokratischen konstitutionellen Monarchie, die den Ersten Weltkrieg unbeschadet überstand, da sie sich neutral erklärte.

Mit den 20er und dreißiger Jahren, geprägt von Wirtschaftskrisen, entstand das moderne Schweden, wie wir es kennen: unter sozialdemokratischer Prägung sorgte die so genannte Volksheim-Idee für einen seine Bürger paternalistisch umsorgenden Staat, wobei dieser in den Anfangsjahren auch Züge hatte, die für uns eher nicht mit Sozialdemokratie in Verbindung gebracht werden, etwa strenge Euthanasiegesetze. In jedem Fall blieb man den nahen Gefahren des Kommunismus und des Faschismus abhold; das war nicht immer leicht, insbesondere im Zweiten Weltkrieg lavierte man sich hart an der Grenze der Neutralität nur mühsam durch – in beide Richtungen, durch (wirtschaftliche) Verbindungen mit Hitler-Deutschland, aber auch durch humanitäre Hilfe für etwa die dänischen Juden und andere Emigranten, sowie der Ausbildung von norwegischen Truppen.

In der Nachkriegszeit wurde der Wohlfahrtsstaat weiter ausgebaut, man trat der UNO bei (1946), wahrte aber insgesamt im Kalten Krieg die Blockfreiheit. Für viele wurde Schweden spätestens in den 1960er und 70er Jahren ein Vorbild an glücklichem Staatswesen, die direkten skandinavischen Nachbarn setzen viele Züge dieses Modells als Folge in ihren Ländern um. Noch immer unterscheidet sich die Fürsorge in den skandinavischen Ländern deutlich von denen Resteuropas und hat wenig von ihrem Vorbildcharakter eingebüßt. Daran änderten auch der wirtschaftliche Niedergang und zunehmende politische Probleme innerhalb Schwedens wenig – ob der Sozialstaat allerdings zu erhalten ist und ob dies überhaupt gewünscht wird, wird die Zukunft zeigen, nachdem die schwedische Regierung seit einigen Jahren weit nach rechts geschwenkt ist.  

Nach diesem Schnelldurchlauf durch die schwedische Geschichte, in dem Königin Silvia gar nicht erwähnt wurde, widmen sich die folgenden Beiträge Personen aus Kunst, Sport und Kultur (und ein einziges Mal auch der Geschichte) des 20. Jahrhunderts und der aktuellen Gegenwart.

Ein kurioser und etwas anrüchiger Überrest des schwedischen Militärstaates ist die Tatsache, dass Schweden einer der größten Rüstungsverkäufer der Welt ist, was nicht gerade zum gut gepflegten Image der Neutralität passt. Ein dagegen wesentlich friedliebenderer, aber nicht minder erfolgreicher Exportartikel ist die Musik (weit vor Deutschland), und bekanntlich steht in fast jedem deutschen Eigenheim irgendein zusammengedübeltes Möbel eines großen Konzerns aus dem Norden. Neben wie auch immer zu bewertender Wohnkultur versorgt Schweden Europa und die Welt seit Jahrhunderten verlässlich mit Ausnahmetalenten auf zahlreichen Gebieten, es wird somit Zeit, den ein oder die andere näher unter die Lupe zu nehmen. Und den Anfang macht...