Der, zumindest
in der allgemeinen Wahrnehmung, bekannteste schwedische Exportartikel auf dem Gebiet der Literatur ist sicherlich – der
Nobelpreis. Die Frage, ob es dies für Autoren und Autorinnen des Landes
einfacher oder schwieriger macht, ihn zu bekommen, wird gern diskutiert, ist
jedoch recht müßig. In jedem Fall beeindruckt die lange Liste (acht Geehrte,
siehe unten) an Gekürten, die das an Einwohnern nicht gerade große Land bislang
hervorgebracht hat und die mit den großen europäischen Kulturnationen mithalten
kann. Vielleicht daher der Verdacht allzu großer Nähe des Komitees, der
allerdings ignoriert, wie produktiv das Land generell auf kulturellem Gebiet
ist. So gesehen ist die große Repräsentanz mehr als gerechtfertigt (nebenbei haben
durchaus auch andere kleinere Länder, wie etwa Irland, eine Vielzahl von
Künstlern und insbesondere Dichtern – und
Literaturnobelpreisträgern – vorzuweisen).
Gleichwohl – das
gutbürgerliche Komitee mag zwar den ein oder anderen Außenseiter lieben, die
exzentrischen Nonkonformisten dagegen finden eher wenig Anklang, weshalb so
manch großer Kopf der Literatur nie seinen Weg in die engere Auswahl der
Ausgezeichneten gefunden hat. Kurioserweise fehlt somit der unzweifelhaft
größte Schriftsteller, den Schweden bislang hervorgebracht hat: August
Strindberg.
Müsste man einen
kurzzeiligen Lexikonartikel in nüchtern-sachlichem Ton über Strindberg
verfassen, klänge dies wohl ungefähr so:
Johann August
Strindberg, geb. 22.Januar 1849 in Stockholm, gest. 14.Mai 1912 ebenda.
Bedeutendster Dramatiker Schwedens (u.a. Fräulein
Julie, Nach Damaskus, Totentanz, Gespenstersonate), dazu einflussreiche Prosawerke (Das Rote Zimmer, Am offenen Meer, Inferno),
außerdem Lyrik, naturwissenschaftliche Werke, Versuche auf dem Gebiet der
Malerei und der Photographie. Verursachte mehrere politische und literarische
Skandale. Langjährige Auslandsaufenthalte (Frankreich, Schweiz, Deutschland,
Dänemark). Strindberg war dreimal verheiratet, aus den Verbindungen gingen fünf
Kinder hervor. Anfangs Vertreter des Naturalismus, wandelte sich Strindbergs
Stil zunehmend zu einer eigenständigen Form, die Elemente des Realismus,
Symbolismus und des frühen Expressionismus vermischte.
Die Altstadtinsel Riddarholmen - Geburtsort Strindbergs
(c) Detlef Menzel - Pixelio.de
Soweit, so gut.
Verkehrt sind diese puren Fakten nicht, doch verbergen sie das Wesen
Strindbergs, des letzten Universalgenies Europas, wie er – zurecht – genannt
wurde und für das er sich sicher selbst hielt. Er war sowenig einzuordnen wie
seine Literatur nach der Abkehr vom Naturalismus. Er liebte seine Heimat Schweden
und insbesondere die Schären, und verfasste Werke, darunter zahlreiche
journalistische Artikel, die Land und Bevölkerung beschimpften, so dass er ins
Ausland floh, um der Häme und dem Hass zu entgehen. Er verfasste zahlreiche
Dramen über die schwedische Geschichte, doch verachtete das Königshaus – was
auf Gegenseitigkeit beruhte. Er inszenierte sich stets als Mann der unteren
Klassen, kämpfte auf Seiten der Bauern und Industriearbeiter, beschrieb das
Leben der französischen Landleute und des einfachen schwedischen Lebens in
zukunftsweisenden kulturgeschichtlichen Werken – und vertrat eine Philosophie
des Geistesaristokratismus, zeitweise der rassischen Überlegenheit, hatte
Sehnsucht nach einem elitären Intellektuellen-Adel und der Uniform. Er ging als
einer der großen Frauenhasser schon zu Lebzeiten in die Geschichte ein,
heiratete dreimal, um sich mit seinen Frauen, oft schon nach kürzester Zeit
(die erste Ehe hielt etwas länger), aufs Böseste zu überwerfen – da er diese
privaten Streitig- und Schwierigkeiten stets überhöhte und verallgemeinerte,
wurde er dem Ruf des misogynen Frauenverächters, den er stets nach außenhin
noch befeuerte, nur zu gerecht, obwohl er von den Frauen nie ließ und etwa
seinen Kindern durchaus ein guter Vater war. Wer noch heute als sein Freund,
von ihm verehrt oder als Lehrmeister betrachtet worden war, den konnte er schon
morgen aufs Tiefste verdammen und in aller Öffentlichkeit beschimpfen – und
sich auch wieder mit ihm versöhnen. Religiös im pietistischen Protestantismus
erzogen, verfolgte er die Religion später mit Hohn und Spott, wandte sich dem
Okkulten und, sehr beliebt in jenen Tagen, dem Satanismus zu, nur um später
eine eigene Form der katholisierenden Religiosität zu entwickeln, in der er so
etwas wie sein eigener Gott wurde. Er schrieb erstaunlich moderne Texte etwa
über die Photographie und war ein reichlich unterschätzter Maler, aber er
glaubte, er müsse gleichzeitig die Naturwissenschaften revolutionieren und
entwickelte bizarrste Theorien, die ihn in der Wissenschaft der Lächerlichkeit
preisgaben.
Dies könnte man
noch weiter ausführen, doch man ahnt das Schema: Hier liegt das Genie fast in
seiner populärsten Form vor. Seiner Zeit weit voraus, unglaublich produktiv,
„menschlich schwierig“, um es sehr nett auszudrücken, und doch seine Umgebung
und erst recht die Nachwelt faszinierend.
Hätte man gerne
ein Bierchen am Abend mit ihm trinken wollen? Nun, vorausgesetzt er hätte nicht
gerade eine seiner abstinenten Phasen gehabt – denen, natürlich!, Phasen
exzessiven Alkoholkonsums gegenüberstanden –, hat er gerade bayerisches Bier
sehr zu schätzen gewusst und unzweifelhaft war er jemand, der unterhaltsam und
spannend einiges zu erzählen gehabt hätte. Dabei macht es dann wohl nicht
einmal einen Unterschied, ob man nun männlichen oder weiblichen Geschlechtes
wäre, damit rechnen, dass er es einem später heimzahlen würde, wen man
irgendwie sein Misstrauen erregt hätte, müsste man so oder so. Es ginge einem
wohl so wie seinen Landsleuten mit ihm als er noch lebte: man hätte es nicht
allzu leicht. Am Ende seines Lebens aber liebten ihn viele Schweden und vor
allem die Sozialdemokraten, sie ehrten ihn zu seinen Geburtstagen mit riesigen
Aufmärschen und machten seine Trauerfeier zu einem rotem Flaggenmeer.
Sein Leben war
stilisierte Kunst und er stilisierte in seiner Kunst sein Leben, auf eine
radikale Art und in so bahnbrechender Form, das nichts von ihrer Kraft und
Ausstrahlung verloren ging – es ist ein großes Kompliment, wenn sein Biograph
Rüdiger Bernhardt über sein Werk schreibt: „Strindberg eignet sich bis auf den
heutigen Tag nicht für Schul- und Lesebücher.“
Die schwedischen Literaturnobelpreisträger
und –Trägerinnen:
Selma Lagerlöf
1909
Verner von
Heidenstam 1916
Erik Axel
Karlfeldt 1931
Pär Lagerkvist
1951
Nelly Sachs (die
gebürtige Deutsche war nach Schweden emigriert) 1966
Eyvind Johnson
und Harry Martinson 1974
Tomas
Tranströmer 2011
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