Dienstag, 4. Februar 2014

Schwede des Tages: August Strindberg.


 
Der, zumindest in der allgemeinen Wahrnehmung, bekannteste schwedische Exportartikel auf  dem Gebiet der Literatur ist sicherlich – der Nobelpreis. Die Frage, ob es dies für Autoren und Autorinnen des Landes einfacher oder schwieriger macht, ihn zu bekommen, wird gern diskutiert, ist jedoch recht müßig. In jedem Fall beeindruckt die lange Liste (acht Geehrte, siehe unten) an Gekürten, die das an Einwohnern nicht gerade große Land bislang hervorgebracht hat und die mit den großen europäischen Kulturnationen mithalten kann. Vielleicht daher der Verdacht allzu großer Nähe des Komitees, der allerdings ignoriert, wie produktiv das Land generell auf kulturellem Gebiet ist. So gesehen ist die große Repräsentanz mehr als gerechtfertigt (nebenbei haben durchaus auch andere kleinere Länder, wie etwa Irland, eine Vielzahl von Künstlern und insbesondere Dichtern – und  Literaturnobelpreisträgern – vorzuweisen). 

Gleichwohl – das gutbürgerliche Komitee mag zwar den ein oder anderen Außenseiter lieben, die exzentrischen Nonkonformisten dagegen finden eher wenig Anklang, weshalb so manch großer Kopf der Literatur nie seinen Weg in die engere Auswahl der Ausgezeichneten gefunden hat. Kurioserweise fehlt somit der unzweifelhaft größte Schriftsteller, den Schweden bislang hervorgebracht hat: August Strindberg. 

Müsste man einen kurzzeiligen Lexikonartikel in nüchtern-sachlichem Ton über Strindberg verfassen, klänge dies wohl ungefähr so:
Johann August Strindberg, geb. 22.Januar 1849 in Stockholm, gest. 14.Mai 1912 ebenda. Bedeutendster Dramatiker Schwedens (u.a. Fräulein Julie, Nach Damaskus, Totentanz, Gespenstersonate), dazu einflussreiche Prosawerke (Das Rote Zimmer, Am offenen Meer, Inferno), außerdem Lyrik, naturwissenschaftliche Werke, Versuche auf dem Gebiet der Malerei und der Photographie. Verursachte mehrere politische und literarische Skandale. Langjährige Auslandsaufenthalte (Frankreich, Schweiz, Deutschland, Dänemark). Strindberg war dreimal verheiratet, aus den Verbindungen gingen fünf Kinder hervor. Anfangs Vertreter des Naturalismus, wandelte sich Strindbergs Stil zunehmend zu einer eigenständigen Form, die Elemente des Realismus, Symbolismus und des frühen Expressionismus vermischte.  
 
Die Altstadtinsel Riddarholmen - Geburtsort Strindbergs
(c) Detlef Menzel - Pixelio.de
 

Soweit, so gut. Verkehrt sind diese puren Fakten nicht, doch verbergen sie das Wesen Strindbergs, des letzten Universalgenies Europas, wie er – zurecht – genannt wurde und für das er sich sicher selbst hielt. Er war sowenig einzuordnen wie seine Literatur nach der Abkehr vom Naturalismus. Er liebte seine Heimat Schweden und insbesondere die Schären, und verfasste Werke, darunter zahlreiche journalistische Artikel, die Land und Bevölkerung beschimpften, so dass er ins Ausland floh, um der Häme und dem Hass zu entgehen. Er verfasste zahlreiche Dramen über die schwedische Geschichte, doch verachtete das Königshaus – was auf Gegenseitigkeit beruhte. Er inszenierte sich stets als Mann der unteren Klassen, kämpfte auf Seiten der Bauern und Industriearbeiter, beschrieb das Leben der französischen Landleute und des einfachen schwedischen Lebens in zukunftsweisenden kulturgeschichtlichen Werken – und vertrat eine Philosophie des Geistesaristokratismus, zeitweise der rassischen Überlegenheit, hatte Sehnsucht nach einem elitären Intellektuellen-Adel und der Uniform. Er ging als einer der großen Frauenhasser schon zu Lebzeiten in die Geschichte ein, heiratete dreimal, um sich mit seinen Frauen, oft schon nach kürzester Zeit (die erste Ehe hielt etwas länger), aufs Böseste zu überwerfen – da er diese privaten Streitig- und Schwierigkeiten stets überhöhte und verallgemeinerte, wurde er dem Ruf des misogynen Frauenverächters, den er stets nach außenhin noch befeuerte, nur zu gerecht, obwohl er von den Frauen nie ließ und etwa seinen Kindern durchaus ein guter Vater war. Wer noch heute als sein Freund, von ihm verehrt oder als Lehrmeister betrachtet worden war, den konnte er schon morgen aufs Tiefste verdammen und in aller Öffentlichkeit beschimpfen – und sich auch wieder mit ihm versöhnen. Religiös im pietistischen Protestantismus erzogen, verfolgte er die Religion später mit Hohn und Spott, wandte sich dem Okkulten und, sehr beliebt in jenen Tagen, dem Satanismus zu, nur um später eine eigene Form der katholisierenden Religiosität zu entwickeln, in der er so etwas wie sein eigener Gott wurde. Er schrieb erstaunlich moderne Texte etwa über die Photographie und war ein reichlich unterschätzter Maler, aber er glaubte, er müsse gleichzeitig die Naturwissenschaften revolutionieren und entwickelte bizarrste Theorien, die ihn in der Wissenschaft der Lächerlichkeit preisgaben. 

Dies könnte man noch weiter ausführen, doch man ahnt das Schema: Hier liegt das Genie fast in seiner populärsten Form vor. Seiner Zeit weit voraus, unglaublich produktiv, „menschlich schwierig“, um es sehr nett auszudrücken, und doch seine Umgebung und erst recht die Nachwelt faszinierend. 
Hätte man gerne ein Bierchen am Abend mit ihm trinken wollen? Nun, vorausgesetzt er hätte nicht gerade eine seiner abstinenten Phasen gehabt – denen, natürlich!, Phasen exzessiven Alkoholkonsums gegenüberstanden –, hat er gerade bayerisches Bier sehr zu schätzen gewusst und unzweifelhaft war er jemand, der unterhaltsam und spannend einiges zu erzählen gehabt hätte. Dabei macht es dann wohl nicht einmal einen Unterschied, ob man nun männlichen oder weiblichen Geschlechtes wäre, damit rechnen, dass er es einem später heimzahlen würde, wen man irgendwie sein Misstrauen erregt hätte, müsste man so oder so. Es ginge einem wohl so wie seinen Landsleuten mit ihm als er noch lebte: man hätte es nicht allzu leicht. Am Ende seines Lebens aber liebten ihn viele Schweden und vor allem die Sozialdemokraten, sie ehrten ihn zu seinen Geburtstagen mit riesigen Aufmärschen und machten seine Trauerfeier zu einem rotem Flaggenmeer.  

Sein Leben war stilisierte Kunst und er stilisierte in seiner Kunst sein Leben, auf eine radikale Art und in so bahnbrechender Form, das nichts von ihrer Kraft und Ausstrahlung verloren ging – es ist ein großes Kompliment, wenn sein Biograph Rüdiger Bernhardt über sein Werk schreibt: „Strindberg eignet sich bis auf den heutigen Tag nicht für Schul- und Lesebücher.“ 
 

Die schwedischen Literaturnobelpreisträger und –Trägerinnen: 

Selma Lagerlöf 1909
Verner von Heidenstam 1916
Erik Axel Karlfeldt 1931
Pär Lagerkvist 1951
Nelly Sachs (die gebürtige Deutsche war nach Schweden emigriert) 1966
Eyvind Johnson und Harry Martinson 1974
Tomas Tranströmer 2011        

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